Sonntag, 9. Mai 2010

Walter Hauser: Der Dichter als Kaplan in Isenthal 1928




Walter Hauser, der sensible und stille dichtende Urner Pfarrer, war in unserer Familie ein "Heiliger", eine Persönlichkeit von ungeheurer moralischer und kultureller Autorität. Meine Grossmutter, eine seiner grossen Verehrerinnen, schenkte mir jeweils zu Weihnachten das aktuellste Bändchen von Walter Hauser. Einen ganz besonderen Bezug habe ich zum ersten Band "Stufen zum Licht", der fast ausschliesslich in den Jahren 1928/29 in Isenthal entstanden ist. Im untenstehenden Auszug zitiere ich daraus zwei Gedichte und einen Auszug aus Hausers Selbstbiografie, in der er die Zeit als Kaplan in Isenthal schildert. Von der Bärchi aus können wir direkt nach Sisikon blicken, dem Hauptwirkungsort des späteren "Dichterpfarrers von Sisikon".


Primiz
O Morgen!
Bist du der Himmel,
dass du so voll Licht bist?
Ein Meer von Lilien,
dass du so voll Duft?
Ein Tod,
dass du so voll Tränen?

Ich ziehe an
das Schultertuch der Kraft,
die Albe blühender Reinheit,
den Gürtel siegreicher Zucht,
den Manipel helfender Liebe,
die Stola freien Gehorsams,
das Gewand der Freude,
der Freude!

O Morgen!
Bist du der Himmel,
dass du so voll Licht bist,
voll Jubel bist,
voll Gott bist?



"Vier Wochen nach der Primiz folgte ich einer Einladung von Frau Egger-von Moos in ihr Hotel auf der Frutt, Obwalden. Dort las ich auf einem Bänklein im Freien vor ein paar Damen zum erstenmal in meinem Leben aus meinen Gedichten vor. Die Damen waren höflich und geduldig.

Ein Seminarjahr nach der Priesterweihe, das vierte Studienjahr nach der Matura, vollendete meinen Studiengang. Wohin nun? In zuvorkommender Weise fragte mich Regens Gisler, der unterdessen mit der bischöflichen Würde ausgezeichnet worden war, was ich vorzöge: Lehrtätigkeit an einem Gymnasium, weitere Studien, ein paar Vikarjahre in Zürich, oder Seelsorge in einem stillen, innerschweizerischen Dorf. Ich wählte ohne Bedenken das letzte. Ich würde mich heute nicht anders entschliessen.

Einige Wochen später wurde ich auf die Regentie berufen: «Hätten Sie Lust, als Pfarrhelfer und Sekundarlehrer nach Isenthal zu gehen?» - «Isenthal? Wo ist das?» - «Das ist ein hochgelegenes, stilles Bergdorf am Urnersee. Das würde Ihrer Gesundheit gut tun.»

Am 15. August 1928 stand ich zum erstenmal auf der Kanzel von Isenthal, und im Oktober übernahm ich die frischgegründete Sekundarschule. Die Leute und der Pfarrer hatten Geduld mit dem jungen, offenbar etwas unpraktischen Kaplan, und ich plagte mich ehrlich und hart mit der Schule. Ich war für das Lehrfach nicht vorgebildet. Die Schüler kamen bestimmt zu kurz; aber ich glaube, die einen oder andern lernten wenigstens einen richtigen deutschen Satz zu schreiben. Ich wohnte im Pfarrhaus, und sowohl der Pfarrer wie die Pfarrhaushälterin gaben sich alle Mühe, mir ein Heim zu bieten. Nur der kleine, schwarze Hund wollte sich an mein Klavier, das einzige im Tal, nicht recht gewöhnen. Ich litt bisweilen sehr unter der Stille des Tales; aber ich hatte ja den Altar, das Klavier und den Schreibtisch. Ganz in der Nähe des Dorfes blühten ganze Wälder von Spiräen und vereinzelt auch Alpenrosen. Im Isenthal schrieb ich die meisten Gedichte der «Stufen zum Licht». Ich dachte aber nicht daran, sie zu veröffentlichen.
Ein Gedicht aus jener Zeit mag sagen, wie schwer es mir bisweilen fiel, mit der Einsamkeit fertig zu werden."


Dämmerung
Ich sitze im Abend.
Der Einsamkeit Purpur fällt über meine Knie,
wächst Über meinen Fuss,
fliesst Über fernste Strassen der Sehnsucht.

Meiner Seele scheuer Vogel singt auf meiner Schulter
Lieder voll süsser Traurigkeit
und kost meine Schläfe.

Denn nach einer Kosung hungert der Mensch.

Doch meine Mutter ist fern
und hört mich nicht.
Und mein Freund ist ertrunken
im dunklen Meer der Welt.

So sitzt der eigenen Seele scheuer Vogel
auf meiner Schulter
und kost meine Schläfe.


"Es fiel mir dann doch schwer aufs Herz, als ich nach zwei Jahren das Schulzimmer in Isenthal verliess, um als Vikar des erkrankten Pfarrherrn und bischöflichen Kommissars nach Altdorf zu ziehen. Als ich die Pfarrhausglocke von Altdorf zog, bekam ich durch das Fenster Bescheid, der Herr Kommissar sei soeben gestorben, und man habe nun für mich keine Verwendung. Ich wurde dann aber doch eingelassen, und ich konnte einen Monat lang in der Seel. sorge des Kantonshauptortes aushelfen. –

Unterdessen ging ein Törein auf. Die benachbarte Pfarrei Bürglen suchte einen Kaplan. Ich durfte mich im wundervoll romantischen Pfarrhaus von Bürglen vorstellen, und eine offenbar optimistische Empfehlung des aus Bürglen stammenden Weihbischofs Gisler beseitigte die Bedenken, einen Nicht-Urner zum Kaplan im TeIlendorf zu machen. Ich wurde gewählt, und am 4. Oktober 1930, meinem 28. Geburtstag, zog ich ein. Der Posten war mir ganz auf den Leib geschnitten. Da war ein weitläufiges Bauerndorf mit einer stilvollen, freilich renovationsbedürftigen Barockkirche, mit zwölf Kapellen, einem warmherzigen, zugänglichen Volk und einem für mich geradezu idealen Pfarrer. Er war ein geistig und körperlich noch sehr beweglicher Siebziger voll Geist, Wärme und Humor, von rührender Anspruchslosigkeit und mit ganz erstaunlichen Kunstkenntnissen. Sein Haus war ein Museum voll kunstgeschichtlicher und volkskundlicher Kurzweiligkeiten. Darunter befanden sich Werke von hohem Wert, die von Pfarrer Julius Loretz vor der Zerstörung bewahrt worden waren. Allabendlich sassen Pfarrer und Kapläne im Pfarrhaus oder auf einem Bänklein an der Feldgasse beisammen, und der Pfarrer nahm nach einem eigenen, umständlichen Rituale bisweilen eine gehörige Prise seines braunen Schnupftabaks, und es war auch ohne Jass nie langweilig. Freilich, literarische Neigungen besass Pfarrer Loretz nicht, obschon er einen ungewöhnlich kurzweiligen Stil schrieb.
Unterdessen war gelegentlich einer meiner Verse in fremde Hände gekommen, und man drängte mich, ein Bändchen in die Oeffentlichkeit zu geben. Ich stellte also zusammen, was mir geeignet schien, und suchte einen Verleger. Niemand wollte es wagen. Schliesslich erbarmte sich der Deutschlehrer am Kollegium Stans, Dr. P. Leutfrid Signer, schrieb eine eingehende Besprechung der Gedichte und bewog den Verlag Räber, Lnzern, die Herausgabe zu wagen. Direktor Job am Studio Zürich begrüsste das Bändchen mit hohem Lob, Peter Dörfler schrieb eine kurze, ausgezeichnete Besprechung, die heute wie eine Prophetie aussieht, und P. 1. Signer meldete das Bändchen mit einem ausführlichen Artikel in der «Schweizerischen Rundschau» an. Das Tor war aufgestossen. Für meine nähere Umgebung bot das Anlass, mich zu allen möglichen Arbeiten einzuladen: Sprechchöre für Landesfeiern, Gedichte für Hochzeiten, Primizen und Jubiläen, Sprüche für Trauerandenken. Viele davon schrieb ich in schlechtem Urnerdialekt, aber ich wusste, dass sie dann doch richtig aufgesagt wurden. Mein Pfarrer sah den früh blühenden Lorbeer seines Kaplans ohne Neid, wenn auch wahrscheinlich mit allerlei berechtigten Bedenken. Er sagte kaum ein Wort darüber."



Aus: Alfons Müller: Eine Einführung in das Werk von Walter Hauser. Mit einer Selbstbiografie des Dichters; Kantonsbibliothek Uri 5. Jahresgabe 1958

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